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Rhöner Mundart
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Richard Müller
Vaterunser
Literatur
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4. November 1998

"Mellichkann öm geschmesse" - von Rhöner Thekenmonologen zu hochdeutschen Kürzestgeschichten.

Der pfiffigste Mundartdichter der Rhön wohnt am Rhein

Seit über 25 Jahren lebt Richard Müller in Köln. Geboren aber wurde er 1946 in Fulda; er wuchs in Welkers, einem Ortsteil der Gemeinde Eichenzell, auf. In Fulda machte er noch seine Lehre als Schriftsetzer, dann zog es ihn an den Rhein, um dort zu studieren. Seine neue Heimat liebt er, trotzdem hat er die Mundart seiner alten nicht vergessen: In der Stadt am Rhein schreibt er Gedichte und Prosa in Rhöner Mundart - genauer: im Dialekt seiner Heimat Welkers.

Ausschnitt aus "20 Thekenmonologe" von Richard Müller - dieser Monolog handelt vom Kirchgang:

"Bann'se oll niedabbe, dabbs'de au nie. Do kömms'de net drömröm, dabbs'de nie. Ess lutt un scho dabbe'se oll nie. Scho wächer d'r Keng dabbs'de mit nie. Hoste so'en Kommezierwanst, bos blit d'r über. Hursett, au; scho werd gedauft moßte scho widder niedabb. Bann'se oll niedabbe, blit nüscht, do dabbs'de mit nie. Beerdichung, blit d'r nüscht übrig. Dabbs'de mit nie. Sterst jo sälber mo. Un bann do känner mitdabbt, däts'de schö schlääd uis d'r Wäsch gugge - dabbs'de halt mit".

Die Thekenmonologe von Richard Müller haben den Westdeutschen Rundfunk in Köln vor einigen Jahren so begeistert, daß er  einige davon mit ihm produziert hat und zur Gaudi der rheinisch-westfälischen Hörer einmal die Woche sendete - obwohl viele die Texte gar nicht verstehen.
 
Seine schmalen Bändchen mit seinen Texten verkaufen sich ganz gut in der alten Heimat in Fulda und Rhön - auch wenn sie nicht ganz billig sind. Denn Richard Müller setzt seine Bücher von Hand und druckt sie dann einzeln mit einer Handpresse.Sein Hauptberuf ist das Dichten nicht: Müller hat einen kleinen Verlag im Kölner Stadtteil Nippes - „edition fundamental" -, in dem er Bücher von Hand setzt und mit der Handpresse druckt. Mehrere Dutzend Titel hat er bisher verlegt - darunter Werke von Hugo Ball, Nicolai Gogol, Friedericke Mayröcker, Majakowski usw. Die Bücher, auf teurem Papier gedruckt, erscheinen in Kleinstauflagen von 100 bis 300 Exemplaren und kosten deshalb auch etwa 250 bis 600 Mark. Auf die Idee, Texte im Dialekt seiner Rhöner Heimat zu schreiben, kam er, weil während seiner Arbeit an der Handpresse immer wieder lange, langweilige Wartepausen entstehen, in denen er zunächst nur zum Spaß begann, Gedichte, Limericks, japanische Haikus im Dialekt zu erfinden.Oft auch sehr drastisch und nicht jugendfrei. Zwei Beispiele aus "ballö - acht mundart-gedichte aus der hessischen rhön":

         noicht öm de orn geschloa
            frau öm geläät
mellichkann öm geschmesse
                  öm sächs heigekomme
           ollesöm sonst

("Nacht um die Ohren geschlagen, Frau umgelegt, Milchkanne umgeschmissen, um sechs heimgekommen, alles umsonst")
 

nu kömmst du

       hie  ge  seicht
deengk  ge zeicht
         o  ge  zeicht

             bos nu?

("Hingepißt, Ding gezeigt, angezeigt - was nun?")

Die geniale Poesie dieser Gedichte entsteht aus dem Zusammenspiel von Drastik und Kürze und der unsentimentalen, aber doch wiederum melancholischen, rauh-musikalischen Sprache der Rhön. Und für den, der die Mundart nicht kennt, klingen die langen, eigentümlichen Vokale - oi, oa, ää, die ungewohnten Nasale in "deengk" und der "ich"-Laut statt des "Ach"-Lautes bei "noicht" für "Nacht" fremdartig. Auf Hochdeutsch würden die Texte so nicht so pfiffig verschmitzt wirken.

Nun aber hat Müller erstmals ein Buch herausgegeben, in dem er auf Hochdeutsch gedichtet hat. "Unisono" heißt es. Auf jeder der wenigen Seiten ist eine Buchdruckgraphik zu sehen, und dazu ein Text:

"Gerade hatte er unter einem Anflug größter Fröhlichkeit die zweite Flasche Riesling geöffnet, da bemächtigte sich seiner angesichts der bereits geleerten tiefe Melancholie"

Diese Texte seien in Dialekt nicht möglich, sagt Richard Müller. Denn anders als seine kleinen, kurzen, pfiffigen, oft auch drastischen Mundartstücke leben seine neuen Texte gerade auch von den etwas gestelzten, fast vornehm oder manchmal betulich klingenden Sätzen. Die kurzen Geschichten bergen im Abschluß immer eine "Überraschung", das heißt, der Aufbau führt den Leser oder Hörer in eine Richtung, bei der man mit einem anderen Ende rechnet. Die Verschachtelung in zusammenhängenden, hochdeutschen Sätzen ist dabei der Trick, den Leser irrezuführen. Bei der Mundart müsse man mit Pointen arbeiten, während er seine hochdeutschen Texte in "Unisono" oft einfach mit einer fast übertrieben beiläufigen Aussage beendet:

Die Bilder hat Richard Müller zuerst gemacht, und dann ließ er sich die Geschichten dazu einfallen. So zum Beispiel: Ein grünes Trapez mit einem schwarzen Dreieck: Ganz klar: ein Hut mit Gamsbart:

"'Ein vergeßlicher Bayer' - dachte er, als ihm jener Hut am 8. Dezember im D-Zug zwischen Bebra und Hersfeld im leeren Abteil auf der Ablage ins Auge fiel. Unter Zurücklassung seiner Adresse übergab er ihn dem DB-Fundbüro in Fulda. Überrascht war er dann doch, als ein Herr aus Chemnitz - früher hieß es Karl-Marx-Stadt - ihm seinen Dank übermittelte, daß sich sein bestes Stück wieder bei ihm eingefunden habe"

Ein Nachteil des neuen Buches „Unisono": Jedes der 55 Exemplare kostet 360 Mark: Dafür ist eben jedes auf exklusivem, teurem Papier von Hand gedruckt. Demnächst soll aber auch eine etwas billigere Ausgabe herauskommen - für etwa 40 Mark - und auch im Ausland wird Richard Müller bekannt werden: Er hat seine Texte einem Freund in Frankreich geschickt - der hat sie bereits ins französische übersetzt - und die werden demnächst in der Zeitschrift "Europe" erscheinen.

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© 1998 Christoph Käppeler

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