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Geburtshaus oder Klinik - Streit im Landkreis Fulda

18. Juni 1998

Seit über drei Jahren gibt es in Künzell im Landkreis Fulda ein sogenanntes Geburtshaus. Das ist ein Haus, in dem Frauen ihre Kinder zur Welt bringen können - als Alternative zur Geburt in der Klinik. Betreut werden sie dort von den Hebammen, die dieses Geburtshaus gemeinsam führen. Ein Arzt ist in der Regel nicht dabei - nur, wenn sich Komplikationen abzeichnen, wird die Frau ins Krankenhaus verlegt. Seit es das Geburtshaus gibt, ist es heiß umstritten - denn die Fuldaer Frauenärzte und die Krankenhäuser lehnen das Geburtshaus als viel zu riskikoträchtig für Frauen und Kinder ab. Zahlen des Gesundheitsamtes des Landkreises Fulda heizen die Diskussion wieder an.

Die Zahlen, die das Gesundheitsamt des Landkreises Fulda vom Städtischen Klinikum Fulda gemeldet bekam, klingen besorgniserregend - der stellvertretende Leiter des Gesundheitsamtes, Dr. Georg Alles:

"Vom November 1996 an bis zum Juli 1997 sind im außerklinischen Bereich im Landkreis Fulda fünf Geburten gewesen, die mit hypoxischen Gehirnschäden einhergingen. Es waren davon zwei Geburten im Geburtshaus entstanden und drei Geburten im häuslichen Bereich".

Das wären, bei etwa 100 Geburten, rund fünf Prozent hirngeschädigte Kinder - bei 1650 Geburten im vergangenen Jahr am Fuldaer Klinikum, die keine Frühgeburten waren, gab es kein einziges hirngeschädigtes Kind, so der Direktor der Frauenklinik, Professor Ludwig Spätling. Aber: Diese Zahlen stimmen nicht, sagt Yvonne Bauer, eine der Hebammen des Geburtshauses in Künzell:

"Es handelt sich um fünf Fälle von Notfallverlegungen in die Städtischen Kliniken. Drei der Fälle, das waren Hausgeburten, eine davon auch eine ungeplante Hausgeburt, und es ist dem rechtzeitigen und überlegten Handeln der Hebammen,  die dort waren; dem Einsatz zu verdanken, daß diese Kinder kerngesund sind; daß sie eine völlig normale Entwicklung haben"

Da steht also Aussage gegen Aussage. Zwei durch Sauerstoffmangel geschädigte Kinder bleiben aber auch nach der Darstellung der Hebammen übrig. Yvonne Bauer:

"Ich kann dazu sagen: Wir haben hier im Geburtshaus 210 Geburten in diesem Zeitraum begonnen (in den letzten drei Jahren), und in zwei dieser Fälle, da ist ein Sauerstoffmangel aufgetreten. Es ist bis jetzt aber nicht geklärt, ob der Sauerstoffmangel aufgrund des Geburtsverlaufes aufgetreten ist oder ob es sich um eine vorgeburtliche oder genetische Schädigung handelt".

Der Hebammenverband habe alles überprüft und keine Versäumnisse der Hebammen festgestellt. Der „Papst" der Geburtsmedizin, Professor Erich Saling aus Berlin, war am 17. Juni 1998 in Fulda. Er hält Hausgeburten und Geburten außerhalb der Klinik für zu gefährlich und ist dagegen:

"Und Notfälle passieren, das wird niemand wegzaubern können und sagen: 'eine Geburt ist ein ungefährliches Vorhaben'. Wenn wir unser gesamtes menschliches Leben in lauter zeitliche Perioden aufteilen, dann können Sie sagen, daß von einer uns bekannten kritischen Periode, (was die Geburt ist, denn wir kennen ja den Vorgang), das der gefährlichste Abschnitt in unserem ganzen Leben ist. Wenn wir das wissen, und diesen gefährlichen Abschnitt nicht intensiv überwachen, was ja heute möglich ist, dann sind wir einfach arglos den Dingen gegenüber, was falsch ist".

Zwar werden Frauen mit Risikoschwangerschaften vom Geburtshaus abgelehnt. Und treten vor der Geburt Komplikationen auf, werden sie in die Klinik verlegt. Dennoch warnt der Fuldaer Frauenarzt Jochen Larbig:

"Daß es ein Risiko schon darstellt, ohne ärztliche Hilfe wegen der akut auftretenden Komplikationen, die entstehen können, in einer solchen Institution eben zu entbinden"

Da ist die „diagnostische und therapeutische Lücke", wenn während der Geburt im Geburtshaus etwas schiefläuft. Bei 10 Prozent aller Geburten geschieht das - Hebamme Yvonne Bauer sagt, man sei für diese Fälle gerüstet. Die Klinik sei nicht weit, Hebammen könnten Notfälle frühzeitig erkennen, können wiederbeleben oder Kinder bis zur Ankunft des Arztes notbeatmen:

"Wir haben Notfallmedikamente zur Verfügung. Zum Beispiel, um Wehen zu hemmen oder um auch eine Blutung zu stoppen. Es ist für uns sehr wichtig, daß es gute Absprachen gibt mit der Rettungsleitstelle und mit den Kliniken, in die wir verlegen. Das geschieht auch. Nur ein Prozent der Verlegungen sind Notfallverlegungen. Die meisten Frauen, die wir verlegen, werden im Vorfeld und sehr weitsichtig und völlig ohne irgendeine Dramatik verlegt".

Es gab auch schon Gespräche im Gesundheitsamt mit Hebammen, Gynäkologen und Vertretern der Kinderklinik über bessere Zusammenarbeit - die, so Dr. Alles, verliefen sehr spannungsreich. Und am Ende ging man unversöhnt auseinander. Einer Frau, die verunsichert ist, gibt Dr. Alles diesen Rat:

"Da sagen wir ganz eindeutig: Das geringste Risiko für Mutter und vor allen Dingen auch für das Kind besteht, wenn man in einer Klinik entbindet".
 

Kommentar

"...ansonsten hätte ich mich nie für dieses Geburtshaus entschieden!" vom 17. Juli 1998

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© 1998 Christoph Käppeler
 

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